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Montag, 2. November 2009
Die Vereinsamung des Lesers
Wenn man keinen Fernseher hat, Channel 4 sich aus Deutschland nicht kucken lässt und man alle verfügbaren „37°“-Folgen schon online gesehen hat, ist man zwar nicht mehr up to date was „die Promis“ treiben (halt, stimmt nicht, U-Bahn-TV meldet, Victoria Beckham hat eine neue Frise) oder wer beim perfekten Dinner was kocht, dafür liest man aber immerhin mal die Texte, die man für die Uni lesen muss. Dabei stieß ich auf einen Ausdruck, der mich erst lachen und dann überlegen ließ.

In einem Text über die Funktion des Buches in der Gesellschaft war die Rede von der Vereinsamung des Lesers

Der arme Leser.
Sitzt einsam und allein mit seinem Buch in einem mit Sicherheit kalten und nur spärlich beleuchteten Zimmer. Nie sieht er Menschen, immer nur Schrift, nie fasst er einer Person des anderen Geschlechts an den Hintern sondern immer nur seinem Buch an den kalten Rücken. Niemand redet mit ihm, er redet auch nicht, außer manchmal, wenn er mit zustimmendem oder ablehnendem Grummeln das Geschehen im Buch kommentiert. Oder geschieht da gar nichts und unser einsamer Leser blättert sich nur durch langwierige mathematische Beweise oder Paragraphen der Straßenverkehrsordnung? Alleine mit der grauen Theorie, fernab vom Leben?

Noch ein Leser!
Es ist Nacht, draußen regnet es, das Haus ist ganz still. In einem Zimmer jedoch wölbt sich eine Bettdecke an ungewohnter Stelle, es dringt ein Lichtschein hervor. Hier liegt, einsam in seinem Harry Potter verloren, ein kleiner Junge und hofft, dass gleich Professor Dumbledore um die Ecke biegt und Harry aus der Klemme hilft. Er möchte eingreifen, doch kann es nicht, er fürchtet sich, aber Mama und Papa schlafen schon, NIEMAND KANN IHM HELFEN – also muss er weiter lesen. Alleine, bis zum Ende, wo alles gut ausgeht. Und wo schon der nächste Harry Potter-Band wartet, der ihn wieder in die einsame Welt des Buches ziehen wird.

Der Leser vereinsamt also, der eine in der Bibliothek, der andere, weil er statt auf den Fußballplatz zu gehen lieber mit Harry Potter unterwegs ist. Paare vereinsamen, weil sie nebeneinander liegen und lesen. Vielleicht sogar das gleiche Buch, aber! Mit anderer Geschwindigkeit, anderen Bildern im Kopf. Welch ein Eifersuchtsdrama könnte sich da entwickeln, DU, mit dieser fremden Frau in meinem Bett, du mit Charlotte Roche! Und ich muss hier noch einen Text über Gutenberg lesen! Gutenberg! Roche! Wie ungleich vereinsamen wir doch!

Aber tun wir das denn?
Wie viele Frauen gibt es, die ihrem Mann morgens am Frühstückstisch NICHT die – aus ihrer Sicht – Highlights der Zeitung erzählen? Wer kuckt sich nicht bei Fremden (gleich nach dem CD-Regal) das Bücherregal an? Ach! Sven Regener! Hast du schon das letzte Buch von ihm gelesen? Und das neue Album von Element of Crime gehört? Der fährt echt gern Straßenbahn, oder?
Man redet doch auch gerne über das Gelesene, schreibt auf amazon eine Rezension (wieso habe ich das eigentlich noch nie gemacht?) oder vergibt zumindest Sterne für Gefallen. Manche machen es sich zur Passion und betreiben tolle Seite wie perlentaucher.de und zahllose Weitere erzählen in Foren und Blogs vom „neuen Schätzing“.

Lesen macht nicht einsam. Lesen lässt einen nur kurzzeitig in andere Welten gleiten, in denen man alles ist, nur nicht alleine. Denn immer ist da Gesellschaft von Menschen, Tieren, meinetwegen auch Zahlen. Und wenn man das Buch zuklappt, ist man wieder da, wacher und vielleicht weiser als zuvor.

Außer ich vielleicht.
Ich fühle mich einsam, wenn ich die Personen aus dem Buch gehen lassen muss, weil ihre Geschichte zu Ende erzählt ist.


(Übrigens, das mit den unterschiedlichen Bildern, die in jedem einzelnen Kopf zu einem Buch entstehen, stimmt vielleicht doch nicht ganz. Oder hat sich jemand Lisbeth Salander aus Stieg Larssons Krimis echt ganz anders vorgestellt als sie in der Verfilmung aussieht?)

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